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DENDROCHRONOLOGIE

 

Baugeschichtliche Rosinen in Mühlebach

Dendrochronologie im Wallis

Die Altersbestimmung von Hölzern aufgrund ihres Jahrringbildes (Jahringbreitenmessung an einer entnommenen Bohrprobe oder direkt am verbauten Holz) hat für die Kulturgeschichte grösste Bedeutung erlangt. Am bekanntesten sind die vielen Datierungen von urgeschichtlichen Pfahlbauten bis um 4000 v. Chr. Aufsehen erregende Resultate haben sich aber auch für viel jüngere Perioden ergeben, wie die folgenden Beispiele aus dem Oberwallis zeigen. An einer Presseorientierung im April dieses Jahres wurden erste Resultate eines vom Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekts des Walliser Dendrolabors von Martin Schmidhalter vorgestellt:

Bisher konnten gegen 300 Hölzer aus den Bereichen Archäologie, Bauernhausforschung, Denkmalpflege und Gletscherforschung (Proben aus Moränen) untersucht werden. Bei den untersuchten Proben handelt es sich ausschliesslich um Nadelholz (Arve, Lärche, Fichte, Weisstanne). Es gelang damit eine 4224-jährige Referenzkurve für das Wallis zu erstellen, gewissermassen einen Jahrringkalender von 2223 v. Chr. bis heute.

Häuser und Speicher in Mühlebach VS. In der Mitte der auf 1381 datierte "Heidenhaus"-Speicher.

Besonders interessant ist eine Studie, die von der Schweizer Bauernhausforschung mitgetragen worden ist. Diese Studie galt den sogenannten Heidenhäusern in der Gemeinde Ernen-Mühlebach, d.h. Blockbauten mit einem Ständer oder "Heidenkreuz" in der Giebelwand unter dem Dachfirst. Das Dorf Mühlebach besitzt den grössten Bestand an solchen Häusern. Sämtliche Bauten wurden systematisch dendrochronologisch analysiert, denn nur genaue, sichere Daten ermöglichen es bautechnische Beziehungen zu den ältesten Holzgebäuden der Nachbargebiete in den Kantonen Schwyz und Graubünden nachzuweisen. Die Studie ist auch wichtig, weil sich die Zahl der erhaltenen Heidenhäuser in den letzten Jahrzehnten enorm verringert hat. Fundiertes Wissen über diesen Haustyp kann viel zur Erhaltung der selten gewordenen Zeugen beitragen.

Die Baudaten der zehn Heidenhäuser in Ernen-Mühlebach streuen zwischen dem Ende des 14. und dem Ende des 15. Jahrhunderts. Damit decken sie die gleiche Bandbreite ab, wie sie bisher an einzelnen, über das ganze Oberwallis verstreuten Heidenhäusern ermittelt werden konnte und sichern den nach oben scharf begrenzten Zeitraum dieses Haustyps ab. Nach 1500 sind in Tallage keine Heidenhäuser mehr gebaut worden, auf den Alpen hingegen finden sich Bauten in dieser Tradition noch bis in die 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts (Stadel Arnold auf Wasenalp, 1532).

ältester, dendrochronlogisch datierter "Heidenhaus" - Speicher von 1381 in Mühlebach VS.

Die Dichte an Holzhäusern in den beiden Nachbardörfern Ernen und Mühlebach ist ein Glücksfall. Hier lässt sich beinahe die ganze Entwicklungsgeschichte des Heidenhaustypus ablesen. So kann aufgrund der dendrochronologischen Datierungen angenommen werden, dass der Typus in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand (Ältester Bau: Speicher Kummer/Niggeli 1381 n. Chr.), d.h. wesentlich älter ist, als man bisher glaubte. Die noch ältere Konstruktionsweise in Form eines Kantholzblocks mit unregelmässigen Balkenvorstössen liegt in Ernen beim Doppelhaus Briw/Carlen vor, das ins Jahr 1342 n. Chr. datiert werden konnte. Das jüngste der datierten Heidenhäuser in der Talzone des Oberwallis ist vermutlich das Haus Flückiger in Mühlebach, welches 1497 n. Chr. errichtet wurde. Kaum einen Steinwurf entfernt steht das älteste datierte Gommer Haus mit Vorkragung (Vorschutz) aus dem Jahre 1501 n. Chr. Diese neue Konstruktion markiert das Ende der spätmittelalterlichen Bauformen.

An der Presseorientierung im April hielt der Architekt und Hausforscher Roland Flückiger fest, dass die Resultate der Studie baugeschichtliche Rosinen sind. Zu diesen Rosinen zählt er auch den Nachweis, dass das heute noch erhaltene sogenannte Balkenkopfkamin im Haus des verstorbenen Adolf Guntern bereits 1409, also von Anfang an eingebaut war. Die altertümliche Kaminform hat damit offensichtlich ebenfalls ein höheres Alter, als man ihr bisher zugebilligt hat.

Es sei schliesslich noch erwähnt, dass sich unter den datierten Heidenhäusern in Mühlebach auch das Geburtshaus des später zum Kardinal ernannten Matthäus Schiner befindet (vgl. Bild das auf der Startseite erscheint, wenn man den Mauszeiger auf das Wort Dendrochronologie bewegt). Das Holz für dieses Haus wurde 1435 gefällt. Damit wird glaubhaft, dass der junge Matthäus wirklich hier aufgewachsen ist.

"Mit den Resultaten aus dieser dendrochronologischen Untersuchung", schreibt Roland Flückiger, "kann der Dorfkern von Mühlebach im Goms wohl zu Recht als eine der ältesten kompakt erhaltenen Siedlungen in der ganzen Schweiz überhaupt bezeichnet werden. Es liegt nun an den zuständigen Instanzen von Gemeinde und Kanton, aber auch an den zahlreichen Eigentümern, die allesamt grosses Interesse an der Untersuchung gezeigt haben und ihre Türen bereitwillig geöffnet haben, dieses einmalige bauliche Kulturgut mit der nötigen Sorgfalt zu pflegen."

 

Nach Pressetexten und einem Manuskript von Martin Schmidhalter, Brig.
Bilder: Martin Schmidhalter, Brig